Sorgenkind Silberreflektor


Innerhalb der letzten Jahre ist im Umkreis meiner befreundeten und bekannten Kollegen ein gewisses Umdenken erfolgt. Weg von der Reflektornutzung hin zur Verwendung von Blitzen. Dies hat in meinen Augen verschiedene Ursachen. Einerseits ist innerhalb der letzten fünf Jahre die Handhabung von Blitzen als "Allzweckmittel" überhaupt erst praktikabel geworden. Zuvor gab es auf dem Kameramarkt noch keine ordentlichen Blitzsysteme für schmales Geld zu bekommen. Doch eine riesige Schwemme guter und günstiger Produkte hat die Handhabung ermöglicht. Blitze sind besonders universell einsetzbar und bieten gegenüber Reflektoren eine ganze Menge "mehr" an Möglichkeiten, auf die ich hier aber nicht eingehen möchte.
Der Reflektor hat sich (zumindest in meiner Umgebung) mehr und mehr zum "Nischenprodukt" entwickelt - aus rein ästhetischen Gesichtspunkten absolut zu unrecht.

Eine weitere Ursache liegt aber mit Sicherheit darin, dass es überraschen schwer sein kann gutes Licht mit Reflektoren zu setzen. Häufig ist man auf Assistenz angewiesen - und mit der Kompetenz eben jener steht und fällt die Qualität der Lichtsetzung. So ist man häufig darauf angewiesen diese zunächst zu unterweisen worauf sie zu achten haben. Doch wer lehren will, der muss zunächst lernen. Dabei ist gerade die Verwendung eines Reflektors mit hochreflektierender, silberner Beschichtung besonders schwierig zu erlernen, da man mit Ihnen besonders leicht über das Ziel hinausschießt.
Deshalb möchte ich nun als "zweiten Teil" meines Reflektorkaufbeitrages noch einen "How to reflect"-Beitrag verfassen oder viel in einer Art "How to not Reflect"-Darstellung aufzeigen, wo ich Missverständnisse in der Handhabung von sehe.


1. - Doppelter Abstand = Vierfacher Lichtverlust? Die Sache mit der Divergenz...

Bei der Handhabung von Blitzen gibt es eine Faustformel. Verdoppel ich den Abstand zwischen meiner Lichtquelle und meinem Motiv, so führt dies zu einer Reduzierung der Lichtleistung auf ein Viertel. Liest man auf der Produktseite eines Reflektor-Edelherstellers nach, so wird dies auch dort proklamiert. Aber ist dies tatsächlich so?
Meine Antwort: Es kommt darauf an! In vielen Fällen - Ja.
Beim klassischen Silberreflektor im Sonnenlicht - Klares Nein. Zugegeben ein "spezieller Anwendungsfall" der aber sehr oft praxisrelevant ist.

Um dies zu erklären müssen wir wieder in die Physik abschweifen. Aber wie immer versuche ich dies möglichst verständlich darzustellen.
Die Physik bildet die Realität immer in Form von vereinfachenden Modellen ab. Diese Modelle unterstehen gewissen Randbedingungen. Halte ich diese Randbedingungen ein, funktioniert alles wunderbar. Tu ich dies nicht, dann können teils immense Unterschiede zwischen Theorie und Praxis klaffen.
Das Modell des "quadratischen Abstandsgesetzes" basiert auf der Ausbreitung des Lichtes von einer punktförmigen Lichtquelle unter einem definierten Winkel in den Raum hinein. Ein Blitz ist in erster Näherung eine Punktlichtquelle und sein Abstrahlverhalten, durch betreffende Lichtformer geprägt, lässt sich gut geometrisch darstellen und beschreiben.

Punktlichtquelle mit geometrisch definiertem Abstrahlwinkel.

Entferne ich mich nun also um einen Faktor 2 von meiner Lichtquelle, so ist die ausgeleuchtete Höhe doppelt so groß, genau so wie die Breite. Die gleiche Menge an Licht verteilt sich auf eine Fläche die vier mal größer ist. Entsprechend bleibt nur noch ein viertel der Lichtmenge pro Teilfläche übrig.
Bei einem Laserpointer hingegen schaut das ganze etwas anders aus. Egal wie groß der Abstand zwischen meinem Laserpointer und der Wand ist, der Lichtpunkt bleibt immer annähernd gleich groß. Dies liegt daran, dass der Lichtstrahl, welcher den Laserpointer verlässt sich nicht nach links und rechts ausbreitet, sondern exakt parallel verläuft. Entsprechend wird auch die Fläche, die er beleuchtet nicht größer und die Helligkeit nimmt nicht über die Entfernung ab.

Dieser "Ausbreitungswinkel" wird übrigens als Divergenz bezeichnet. Geringe Divergenz = wenig auffächern, Große Divergenz = starkes auffächern.
Die Sonnenstrahlen, die bei uns auf der Erde eintreffen verlaufen in erster Näherung parallel. Reflektiere ich sie mit einem Spiegel, an dem der Grundsatz "Einfallswinkel = Ausfallswinkel" gilt, so werden sie auch anschließend weiter parallel verlaufen und nicht weiter auffächern. Wer im Schulunterricht immer mit der Reflexion seiner Armbanduhr gespielt hat kennt dieses Phänomen wohl sehr gut.

Das Abstands-Quadrat-Gesetz gilt nicht für parallel verlaufende Lichtstrahlen.

Genau genommen sind die Sonnenstrahlen nicht exakt parallel, aber sie haben schon 149.600.000.000 Meter durch das Weltall hinter sich. Wie viel macht es da prozentual noch aus, wenn wir uns fünf oder zehn Meter von unserem Motiv wegbewegen? Genau genommen ist ein Silberreflektor auch kein perfekt glatter Spiegel, sodass diese Umschreibung auch nicht zu 100% passt. Aber dieses Modell passt deutlich besser auf die Handhabung von Sonnenlicht mit Silberreflektor, als die Darstellung einer Punktquelle mit starker Divergenz im Raum.
Bei bewölktem Himmel und diffusem Ausgangslicht, ist auch das reflektierte Licht von hoher Divergenz. Für Reflektoren mit weißer Bespannung hingegen gilt das Gesetz "Einfallswinkel = Ausfallswinkel" nur eingeschränkt, wodurch sich auch hier wieder eine gewisse Divergenz einstellt. Und sobald der Reflektor in eine Richtung gewölbt ist, führt dies auch wieder zu einem auffächern des Strahlenganges über die Entfernung.

Oftmals bewegen wir uns irgendwo zwischen diesen beiden Extremen der Modelldarstellung. Aber es kommt nicht selten vor, dass wir mit einem Reflektor Sonnenlicht in Richtung unseres Motivs werfen wollen. Ich sollte also im besten Fall beide Modelldarstellungen im Hinterkopf behalten. Je geringer die Divergenz meines reflektierten Lichtes ist, desto höhere Wurfweiten kann ich erzielen und desto präziser wird meine Lichtsetzung. Im Umkehrschluss sorgt dies aber dafür, dass es schwer wird die Helligkeit und Weichheit des Lichtes nach Belieben zu variieren.

2. - Große Lichtquelle = Weiches Licht? Noch mehr zur Divergenz...

Nun kommen wir zum Grundsatz der Weichheit. Für die Auswahl von Softboxen gelten die zwei Grundsätze:
1. Je größer die Lichtquelle, desto weicher ist das Licht.
2. Je näher ich mit meiner Lichtquelle an mein Motiv trete, desto weicher wird das Licht

Man möchte also auch hier annehmen, dass ein großer Reflektor weicheres Licht erzeugt, als ein kleiner. Auch dies ist wieder eine grundlegende Frage wo uns die Divergenz beschäftigt. Aber zunächst müssen wir die Frage klären "Was ist eigentlich weiches Licht?"
Der Begriff der "Weichheit" beschreibt wie sanft die hellen Bereiche in die dunklen übergehen.

Jeder wird wohl schon einmal von "Halbschatten" gehört haben. 
Wird ein Gegenstand von einer Lichtquelle beleuchtet, so wirft er einen Schatten auf die gegenüberliegende Seite. Wird er von mehreren Lichtquellen beleuchtet, so wirft er mehrere Schatten, jeweils auf die gegenüberliegenden Seiten. Durch die Überschneidung von Licht- und Schattenkegeln kommt es zur Ausbildung von "Stufenschatten" oder eben "Halbschatten". Beim Diffusionsstoff einer Softbox (als Beispiel für eine große Lichtquelle) bricht jeder einzelne Faden des Gewebes das Licht, kann also als winzige "Lichtquelle" betrachtet werden. Unendlich viele kleine Lichtquellen werfen unendlich viele feine Stufenschatten, die ineinander übergehen. So entsteht ein weicher Schatten.

Dies setzt voraus, dass sowohl licht vom "linken Ende" einer Softbox auf das Motiv trifft, als auch vom "rechten Ende" der Softbox. Bewegen sich die Lichtstrahlen von jedem einzelnen Punkt der Softbox parallel gerichtet auf das Motiv zu, so kommt es nicht zu dem Überschneidungseffekt der Stufenschatten und somit nicht zur Ausbildung eines weichen Schattenfalls.

Wie wir ja schon oben festgestellt haben ist dies aber bei Silberreflektoren im Sonnenlicht nicht der Fall.  Wenn die Lichtstrahlen vom oberen Ende des Reflektors das Motiv treffen, dann verfehlen die Lichtstrahlen vom unteren Ende jenes. Das reflektierte Licht wird also immer sehr hart sein. Eine Ausnahme wäre, wenn man den Reflektor nach Innen durchbiegt und somit eine Hyperbolform erzeugt. Dies sorgt jedoch wiederum für "Hotspots" und ist in der Praxis nicht wirklich gut zu realisieren. Um das ganze nochmal graphisch zu verdeutlichen hier ein paar Prinzipskizzen zum Schattenfall bei Spiegel, Reflektorund Softbox

Besser wird dies durch strukturierte Oberflächen. Sie streuen das Licht gut und machen es dadurch weicher. Mit etwas "abgenutzten" Reflektoren ist eine schmeichelhafte Lichtsetzung deshalb oftmals leichter. Diese erreichen aber auf der anderen Seite nicht die "Wurfweiten", die zum Teil notwendig sind. Eine klassische Pattsituation, die man in ähnlicher Form auch von Blitzen kennt. Weiches Licht auf große Distanzen zu transportieren funktioniert einfach nicht ordentlich - ein kleiner Seitenverweis an dieser Stelle auf meinen Beitrag zu Telereflektoren für Blitze.

3. - Schmeichelhaftes Sonnenlicht mit Silberreflektor: So gehts.

Der Reflektor-Edelhersteller California Sunbounce hat in der Vergangenheit empfohlen, dass die Reflektorbespannung vor dem ersten Einsatz erst einmal so stark gedehnt werden soll, dass die Silberbeschichtung aufreißt. Dies sorgt dafür, das die entstehenden "Silberplättchen" ihre gleichmäßige Ausrichtung verlieren und somit das Licht besser streuen. Das Licht wird weicher - dies ist selbstverständlich wahr. Jedoch kann ich nur schwerlich in Worte fassen, wie schmerzhaft es mir auf emotionaler Ebene erscheint eine nagelneue, verdammt teure Bespannung mutwillig zu "zerstören". Insbesondere da man auf diese Weise die hohen Wurfweiten verliert, mit denen eben jene Edelreflektoren überhaupt erst beworben werden.

Nochmal zur Wiederholung: Für hohe Wurfweiten und hohe Lichtausbeute brauchen wir gerichtetes Licht mit geringer Divergenz. Für eine weiche Ausleuchtung eine hohe. Eine Zwickmühle.

Um nun einen Spagat aus hohen Wurfweiten und weichem Licht zu realisieren kommen wir nicht um ein weiteres Werkzeug herum:
Dies kann einerseits ein Diffusor sein, andererseits ein zweiter, weißer Reflektor oder eine reflektierende Oberfläche (weiße Wand z.B.).
Nun wird der ein oder andere bestimmt schon wissen worauf ich hinaus will. Wir werfen einen scharfen, harten Lichtstrahl in die Nähe unseres Motivs und formen ihn dann in unmittelbarer Nähe aus. Dies ist leider schon recht aufwendig, funktioniert aber ausgesprochen gut.

Eine zweite Möglichkeit um zumindest die "Schönheit" des Lichts zu verbessern besteht darin den Abstand  zwischen Model und Reflektor deutlich zu erhöhen. Ich sagte ja schon, dass ein Reflektor durchaus eine leichte Divergenz besitzt, diese aber recht gering ist. Möchte ich also die Helligkeit meines Reflektors reduzieren, so muss ich mich weit entfernen, damit die ausgeleuchtete Fläche größer wird. Der Abstand kann dann durchaus 50 Meter und mehr betragen, je nach Situation.

Weicher wird das Licht dadurch nicht, aber häufig ist es weniger die Härte, als viel mehr die Tiefe (und Richtung) eines Schattens, die ihn besonders unvorteilhaft wirken lässt (nochmal oben auf die Vergleichsbilder schauen). Je heller das Licht, desto dunkler der Schatten. Je weiter ich mit meiner Lichtquelle an das Motiv rücke, desto heller wird die eine Seite - und desto dunkler wirkt im Vergleich die andere. Die Ausleuchtung wird also immer ungleichmäßiger, je näher ich meinem Motiv mit der Lichtquelle komme. Deshalb wirken Durchlichtschirme in weiß gestrichenen Innenräumen deutlich vorteilhafter, als Softboxen gleicher Größe, da das Streulicht, welches sie mit mehr oder minder 360° quer durch den Raum werfen die dunklen Schatten indirekt aufhellt - im Außeneinsatz, wo die weißen Wände fehlen verspielt sich dieser "Vorteil" hingegen. Daran kranken leider typische "Lichtformervergleiche" sehr oft, da sie diesen Einflussfaktor des Streulichts nicht berücksichtigen. 

Merke: Gleichmäßigkeit schlägt mitunter Weichheit.

Letzten Endes stellt sich eine Gratwanderung ein. Wie viel Helligkeit muss ich auf mein Model werfen, damit es hell genug ist und wie weit muss ich mich entfernen, damit das Licht auch hinreichend gleichmäßig wird? Dies ist, wie so oft, ein Sache des persönlichen Erfahrungswertes!

4. - Die Position macht die Musik!

Eigentlich eher ein Grundlagenthema, dass zwischen den eher fortgeschritten-wissenschaftlich anmutenden Ausführungen oben wohl etwas deplatziert wirkt. Der Vollständigkeit halber will ich es dennoch aufführen, da es gerade für Anfänger von unfassbarer Wichtigkeit ist.

Die Position ist das allerwichtigste beim Setzen von Licht.


Wer mit Blitzen arbeitet muss erstmals darüber nachdenken wo er seine Lichtquellen hinsetzt. Aber wer zum ersten Mal mit einem Reflektor arbeitet, der denkt typischerweise nicht groß darüber nach von wo sein Licht kommen muss, sondern hält die silberne Scheibe dem Model direkt vor den Bauch.
Übrigens gilt dies auch schon für die Ausrichtung meines Models im Fall, dass ich überhaupt keinen Lichtformer besitze. Der Unterschied darin ob ich mit, gegen oder seitlich zum Licht stehe verändert den gesamten Bildlook ungemein.

Da ich im Zusammenhang des letzten Kapitels eh schon mit Reflektor draußen unterwegs war, habe ich auch hierzu wieder ein paar Fotos aufgenommen, die die dramatische Auswirkung der reinen Lichtposition kaum besser verdeutlichen könnten - Einfach mal auf die Form von Nase und Gesicht achten, sie werden ungemein durch die Lichtposition beeinflusst:

Noch ein paar abschließende Worte. Ich habe mir Mühe gegeben in diesem Beitrag lediglich Wissen zu vermitteln und ein "Problembewusstsein" zu schaffen anhand dessen nun jeder selbst schauen soll und muss, was er für sich aus der Praxis daraus mitnimmt. Selbst Ausprobieren steht nun an der Reihe. Über Rückmeldungen zu eigenen Erfahrungen (insbesondere abweichenden) in der Kommentarspalte würde ich mich freuen.

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