Unschärfe allein macht keinen Hintergrund...

Heute gibt es mal wieder eine Detailbeleuchtung. Eine ziemlich reißerische, subjektive und kontroverse zugegebenermaßen.
Thema diesmal: Das Bokeh.


Bokeh ist ein Kunstwort, welches geschaffen wurde um die "Schönheit der Hintergrundunschärfe" zu beschreiben. Was dieser Begriff genau beschreibt oder nicht ist strittig. Daher muss ich für diesen Artikel einmal definieren, worüber ich spreche: Über Bokehbubbles.

Also diese schönen, malerischen Lichtkreise. Ein einheitlicher Farbbrei ohne erkennbare Struktur ist in meinen Augen keine "schöne Hintergrundunschärfe" also nach meiner Definition im Wortsinne kein schönes Bokeh.

 

Es braucht immer Struktur und Kontraste um eine gute Ausgangslage für einen schönen Hintergrund zu schaffen. Daher liebe ich Sonne.
In meinen Augen gibt es keine Aussage, die so falsch ist, wie die, dass Sonnenschein für Porträts ungeeignet sei.
Natürlich lässt sich auch argumentieren, dass der Hintergrund so trist und langweilig wie möglich sein soll um nicht vom Model abzulenken...
Aber dann kann ich mich auch vor einen grauen Studiohintergrund stellen und brauche über Bokeh und Unschärfe keine Gedanken zu verschwenden.

 

Schaut man im Internet nach Einsteigertutorials zum Thema "So wird dein Bokeh besonders schön" findet man immer eine Hand voll regeln, die sich damit befassen den Hintergrund unscharf zu zeichnen. Aber wie gesagt: Farbbrei kann auch unscharf sein. Schönes Bokeh haben wir dadurch noch nicht.

Bevor ich nun erkläre worum es mir eigentlich geht anbei einmal ein paar Beispielbilder:
Die Bilder, die mit Abstand (!) den unschärfsten Hintergrund haben, sind zeitgleich diejenigen, denen es an "echtem" Hintergrund fehlt

Zunächst einmal zu den immer wieder Gebetsmühlenartig herunterzitierten vier Grundregeln für unschärfere Hintergründe:
1. Je größer die Blendenöffnung des Objektivs, desto unschärfer der Hintergrund.
2. Je größer deine Brennweite, desto unschärfer der Hintergrund.
3. Je größer das Abstandsverhältnis Model-Hintergrund zu Model-Kamera, desto unschärfer der Hintergrund.

4. Je größer mein Kamerasensor, desto unschärfer der Hintergrund.

 

Jede dieser Aussagen ist für sich erstmal korrekt. Aber in der Praxis werden daraus falsche Schlüsse gezogen.
So steht die Brennweite zur Maximierung der Unschärfe nur sehr begrenzt, bis gar nicht zur Verfügung. Wähle ich eine längere Brennweite, so muss ich bei gleichem Bildausschnitt weiter von meinem Model weggehen. Das heißt also der Hintergrund wird durch die längere Brennweite unschärfer, aber in gleichem Maße durch das "schlechtere" Abstandsverhältnis wieder schärfer.
Beide Effekte kompensieren sich zu einem Großteil (im vereinfachten Rechenmodell sogar komplett)
Argumentativ lässt sich bestenfalls ins Feld führen, dass ich mit Teleobjektiven tendenziell enger schneide - also die Abstände "günstiger" wähle.

 

Verglichen wurden nachfolgend ein 50mm und ein 135mm Objektiv, beide mit Blende f/1.8.
Schaut man auf die Skala des Testcharts, so lässt sich bei beiden Objektiven die Schärfeebene "ungefähr" auf den Bereich von 0 bis 1cm hinter dem Nullpunkt beschreiben. "Noch so halb scharf" sind dann die Bereiche von 1cm vor dem Fokus bis 2cm hinter dem Fokus. 

 

Durch die perspektivischen Einflüsse, wirkt der Übergang zwischen "scharf" und "unscharf" bei einem 135mm Objektiv vor allem aber wesentlich abrupter.
Da ein Meter räumliche Tiefe bei einem 50mm Objektiv auf einen größeren Bereich gestreckt erscheinen, als bei einem 135mm Objektiv.
(Stichwort perspektivische Bildkompression).

Ein weiterer wesentlicher Einfluss wird erkennbar, wenn wir die Lichtquelle im Hintergrund betrachten.
Beim 135mm Objektiv ist diese viel größer abgebildet. Überdeutlich würde dies noch einmal, wenn wir auf die Lichtquelle selbst fokussierten.
Unschärfer ist sie jedoch nicht so wirklich. Betrachtet man den unscharfen Verlauf zwischen der Lichtquelle und dem Hintergrund, so wirkt er bei beiden Aufnahmen ähnlich weich.

 

Ein absolut banaler, aber fundamentaler Punkt ist, dass es im Hintergrund Glanzlichter braucht um Bokehbubbles auzuformen.

Mag ich den verträumten Look von Bokehbubbles, so ist der wichtigste Grundsatz der, dass ich in Richtung von definierten Lichtquellen fotografieren muss.
Es ist also keine rein technische Frage der Maximierung der Unschärfe. Wenn mein Motiv keine Glanzlichter besitzt, die Bokehbubbles bilden können, so kann ich den Hintergrund noch so unscharf gestalten - er wird bestenfalls zu einheitlichem Farbmatsch.

 

 

Ein Beispiel für einen "gut" gewählten Hintergrund ist eine Baumkrone im Gegenlicht, da die Sonne, die zwischen den Blättern hindurch scheint, viele helle Lichtpunkte erzeugt, die sich in ein zauberhaftes Bokeh verwandeln lassen.

 

Zurück zur Brennweite. Mit der Brennweite steuer ich also vor allem eines: Die Menge und Größe der Bokehbubbles.
Hierbei geht es ein wenig um eigene Präferenzen. Eine lange Brennweite beschneidet perspektivisch den Hintergrund. Es werden weniger Lichtquellen auf das Bild gebracht, diese aber größer. Ich erhalte immer weniger, aber immer größere Bokehbubbles, je länger ich die Brennweite wähle.


Gerade bei kurzen Brennweiten (z.B. 35mm) wirkt die schiere Menge an vielen kleinen Bokehbubbles tendenziell unruhig. Lange Brennweiten zeichnen wenige große Bubbles, die auf den Betrachter ruhiger wirken. Wobei man dennoch darauf achten sollte, dass am Ende nicht nur
drei riesige Bubbles den Hintergrund zieren.

 

Nachfolgende Bilder zeigen ansatzweise den Unterschied, den allein die Größe von Bokehbubbles macht. Speziell sollte das Augenmerk hier auf das Blätterdach im Hintergrund gerichtet werden. Viele kleine Bokehbubbles wirken unruhiger, als es wenige große tun.

Ich muss dazu sagen, dass es mir wahnsinnig schwer gefallen ist in meinem Portfolio zwei Bilder zu finden, die allein vom Abbildungsmaßstab des Modells her vergleichbar sind und deutlich unterschiedliche Brennweiten besitzen.
Da man mit Weitwinkelobjektiven tendenziell nie so nah an sein Modell herantritt, wie man es mit einer Telebrennweite tut.
Stellt man also keine "speziellen Testfotos" her, so gehen die verschiedenen Objektive motivlich so weit auseinander, dass die Effekte schwer beobachtbar sind.

 Die Unschärfe der einzelnen Lichtpunkte steuere ich durch eine möglichst große Offenblende, einen möglichst großen Kamerasensor und ein günstiges Abstandsverhältnis zwischen Kamera, Model und Hintergrund. Dies führt bereich zu einer motivlichen Festlegung auf Close-Up-Porträts.
Aber es ist Vorsicht geboten. Es geht nicht darum alles einfach "zu maximieren".

 

Folgendes sollte nicht vergessen werden: Die Menge an Licht, die ich von einer Punktlichtquelle im Hintergrund "sammeln" kann, ist begrenzt.
Sie nimmt ab, je weiter ich mich von der Lichtquelle entferne. Dies ist deshalb relevant, weil ich beim "aufweichen" eines Lichtpunkts seine Helligkeit auf eine größere Fläche verteile. Je stärker ich eine Lichtquelle unscharf zeichne, desto dunkler wird sie. (Siehe Nachfolgende Bilder)

 

Weiche ich ein Glanzlicht sehr stark auf, erreiche ich irgendwann den Punkt, wo sie vor dem Hintergrund verblasst.
Dann sind die Bokehbubbles nicht mehr zu erkennen. Hier ist die Ausgangssituation besonders entscheidend. Ich kann eine Lichtquelle umso stärker unscharf zeichnen, je stärker der Helligkeitskontrast zwischen Glanzlicht und Grundhelligkeit im Hintergrund ist. Sind die Glanzlichter nur minimal heller als der Hintergrund, so erhalte ich durch zu starke Hintergrundunschärfe wieder nur Einheitsbrei.
Also wieder gilt - Das Hintergrundmotiv ist der fundamentale Ausgangspunkt für ausgeprägte Bokeh-Bubbles!

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